Unternehmen stehen heute mehr denn je vor der Herausforderung, auf kreative Weise ihre Prozesse so zu gestalten, dass die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und weiter ausgebaut wird. Über kreatives Recruiting und die Nutzung von Start-Ups als Inputgeber und Coaches kann HR aktiv dazu beitragen.
Von Dr. Marc-André Weber. In immer kürzeren Lebenszyklen von Produkten und dazugehörigen Produkterstellungsprozessen wird die Hinterfragung des Bestehenden zur Regel. Damit geht eine Anforderung an Mitarbeiter einher, die es in der Vergangenheit so nicht gegeben hat: schnell neue und durchaus ungewöhnliche Lösungswege finden, vieles und unkonventionelles ausprobieren, Fehler machen und aus diesen miteinander lernen. Dass auch noch der demografische Wandel dazu kommt und tendenziell ältere Belegschaften diese Neuausrichtung gestalten müssen, lässt die Herausforderungen für Unternehmen weiter steigern. An der Bewältigung dieser Herausforderungen tragen deshalb die Personalabteilungen einen entscheidenden Anteil.

Ideengeber gesucht

Um bestehende Prozesse zu hinterfragen und für die Herausforderungen der Zukunft neu zu gestalten braucht es das, was kein Computer – zumindest bis heute und sicherlich noch auf viele Jahre – zu ersetzen im Stande ist: menschliche kognitive Fähigkeiten. Aber mit welchen Personenkonstellationen kann der Wandel gelingen? Die eigenen Beschäftigten sind die Prozessexperten, die das bisherige bestens kennen. Selbstverständlich sind diese an Änderungen zu beteiligen, und das durch alle Hierarchieebenen hinweg bis herunter zum Mitarbeiter am Shop Floor. Zusätzlich sollte aber auch das Potenzial junger Querdenker eingebunden werden – und zwar am besten derjenigen, die mit teils kuriosen Ideen Start-Ups gegründet haben, für „ihr Ding“ brennen und häufig nur darauf warten, dass etablierte Unternehmen Interesse an einer Kooperation zeigen, in der diese Ideen wahr werden können. Indem Unternehmen also mit Start-Ups kooperieren, können sie schnell innovative Ideen an Bord holen!
Für HR ergibt sich dabei jedoch eine besondere Herausforderung. Im ersten Schritt ist es die – leider in der betrieblichen Praxis viel zu häufig vernachlässigte! – Aufgabe der Personaler, vor Ort in der Produktion, der Logistik, des Einkaufs und des Vertriebs die Anforderungen und Probleme der operativen Praxis in Erfahrung zu bringen und zu verstehen, damit überhaupt geeignetes Personal ausgesucht werden kann. Im zweiten Schritt gilt es, den Dialog zwischen den eigenen Beschäftigten und den temporär in die Produkt- und Prozessentwicklung integrierten Entrepreneure zu gestalten. Hierbei können verschiedene Welten aufeinanderprallen – junge kreative Start-Up-Vertreter ohne langjährige Berufserfahrung, die in Sandalen und Pulli erklären, wie man alles besser machen kann, und steif in Anzug und Hemd gekleidete Mitarbeiter, die frei nach dem Motto „das haben wir schon immer so gemacht, und das ging immer gut so“ an etablierten Wegen festhalten; um einmal die üblichen Klischees zu bedienen. Wichtig ist zu erkennen, dass beide Sichtweisen ihre Berechtigung haben. Personaler sollten beide Seiten auf Augenhöhe miteinander diskutieren lassen. Denn das Ziel ist letztlich ein gemeinsames, nämlich die Weiterentwicklung einer Organisation. Wirken die Start-Up-Mitarbeiter über längere Zeit im Unternehmen mit, werden sie fast schon ein Teil der Belegschaft, und dann gilt es erst recht für die Personaler, sinnvolle Strukturen zu schaffen, die ein kooperatives Zusammenarbeiten ermöglichen.

Wie kann HR unterstützen?

Ein erster Ansatz kann sein, durch gemeinsame Workshops Ideen der Start-Ups mit den Anforderungen und Rahmenbedingungen der etablierten Unternehmen auszutauschen, um daraus gemeinsam mögliche konkrete Umsetzungswege zu skizzieren. Hierdurch können beide Seiten viel voneinander lernen – die Entrepreneure werden sensibilisiert für die Komplexität gewachsener Strukturen, die etablierten Unternehmensvertreter bekommen frischen jungen Wind und kreative Anregungen. Die Start-Up-Vertreter können ihre Erfahrungen und ihr aktuelles technisches Wissen zudem auch in Trainings weitergeben oder als interne Coaches eingebunden werden.
Eine sinnvolle Fortsetzung sollte darin bestehen, die Ansätze der Start-Ups für Produkte und Prozessgestaltung einmal auszuprobieren, beispielsweise in Pilotbereichen des eigenen Unternehmens. Dadurch gewinnen alle wertvolle Erkenntnisse und können die Reife der Start-Up-Ideen direkt austesten. Und wo „Pilotbereich“ draufsteht, sollten „eingefahrene“ Regeln auch nicht gelten – schließlich will man sich ja bewusst Neuem öffnen.
Die Erfahrung der Praxis zeigt, dass diejenigen, die nicht mit der Zeit gehen, mit der Zeit gehen… Man muss sich nur einmal überlegen, wie viele Entrepreneure die Welt revolutioniert haben! Steve Jobs, Richard Branson und Elon Musk sind nur einige Namen. Die meisten Entrepreneure kennen wir nicht mit Namen, und dennoch helfen sie täglich, etablierte Unternehmen weiter voranzubringen auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft. Wer sich für sie öffnet, mit ihnen kooperiert und in die Gestaltung des eigenen Unternehmens einbindet, öffnet sich mehr Chancen den Wettbewerb hinter sich zu lassen. Gegenseitiges Lernen und ein zielführender Dialog sind dafür elementar. Zu dieser Aufgabe können und müssen Personaler einen wesentlichen Beitrag leisten.

 

Autoreninfo:
Dr. rer. pol. Marc-André Weber ist (freiberuflicher) Berater für Prozessoptimierung mit Schwerpunkt Produktionsprozesse und freiberuflicher Dozent für Industrie-Betriebswirtschaftslehre. Er studierte Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, USA und Indien. Praxiserfahrung sammelte er bei verschiedenen Automobilzulieferbetrieben sowie einer der „Big Four“ Unternehmensberatungen. Xing-Profil: https://www.xing.com/profile/MarcAndre_Weber2