Trotz beschränktem Budget und suboptimalen Rahmenbedingungen die Kultur im Unternehmen positiv in Richtung Lernen und Anwenden beeinflussen? Tipp 4-7 zeigen, wie es geht.

Schneller, individueller, in kürzeren Lernnuggets und sehr praxisnah – im ersten Teil wurde bereits deutlich, wie sehr sich das Lernen im Unternehmen aktuell verändert. HR kann dies nur auf Dauer erfolgreich handeln, wenn es gelingt, eine lernförderliche Kultur zu schaffen. Und das kann mit kleinen, aber ausdauernden Schritten auch umgesetzt werden!
In den Tipps 1 bis 3 wurden bereits Selbstreflektion, Stakeholdermanagement und Best Practice Sharing als Ansätze vorgestellt. Nun geht es weiter:

4) Grenzen sprengen: Die Möglichkeiten des Web konsequent nutzen

In vielen Unternehmen herrscht ein Verständnis von digitalen Lernmedien als extern in Auftrag zu gebenden, einzukaufenden oder zu lizensierenden Inhalten vor. Die immensen Möglichkeiten frei verfügbarer Lerninhalte im Internet werden indes von den wenigsten Unternehmen systematisch genutzt, auch wenn es für den einzelnen Mitarbeiter längst das Selbstverständlichste ist, bei auftretenden Fragen oder Problemen zunächst über Google zu suchen. Das Potential von Open Educational Resources (OER) und anderen frei verfügbaren digitalen Lernmedien wird in den nächsten Jahren sowohl quantitativ als auch qualitativ noch exponentiell wachsen.
Unternehmen können dieses Potential nutzen, zumal um weniger unternehmens-spezifische oder sich mit hoher Dynamik weiter entwickelnde Lernfelder abzudecken und überdies den Blick ihrer Mitarbeiter für die globalen technischen/wirtschaftlichen Entwicklungen zu weiten. Lernverantwortliche, Führungskräfte und Mitarbeiter können gemeinsam relevante Lernressourcen mit einfachen Cloud-Tools sammeln, sortieren und kommentieren, um sie innerhalb des Unternehmens weiterzugeben.

5) Jenseits des LMS: Vorhandene und frei verfügbare Tools nutzen

Das Learning Management System (LMS) wird für größere Unternehmen auch zukünftig eine wichtige Rolle dabei spielen, das betriebliche Lernen zu unterstützen. In einer von selbstgesteuertem und stark informellem Lernen geprägten Lernkultur, die insbesondere auch die unbegrenzten Möglichkeiten des Webs einbezieht, wird das LMS indes nur ein Baustein der IT-Landschaft sein, die für das betriebliche Lernen genutzt werden. Das Intranet, interne Soziale Netzwerke (zum Beispiel Yammer) und externe Networks (zum Beispiel LinkedIn oder Youtube), Chat-Dienste, Cloud-basierte Kollaborations-Tools (zum Beispiel Google Docs, Slack, Trello, Podio), Notiz-Apps (wie Evernote oder OneNote) und einer Vielzahl anderer Software- und Online-Lösungen werden zu weiteren Lernumgebungen. Lernverantwortliche sollten sich nicht gegen diese Entwicklung stemmen, sondern diese Tools kennenlernen, ausprobieren und offensiv „bespielen“.

6) Es anders machen: Agile Methoden erlernen und erproben

In dem Maße, indem die Personalentwicklung stärker auf die Eigenverantwortlichkeit jedes Mitarbeiters für sein eigenes Lernen setzt, wird es immer entscheidender, Lernangebote attraktiv zu machen und eine Lernerfahrung zu gestalten, die von den Bedürfnissen, Interessen und Nutzungsgewohnheiten des Lerners ausgeht. Design Thinking, Scrum und andere agile Methoden können diesen Paradigmenwechsel von der Unternehmens- hin zur Lerner-Zentrizität entscheidend unterstützen. Lernverantwortliche sollten sich frühzeitig mit agilen Werten und Vorgehensweisen vertraut machen, diese erproben und schrittweise in ihre Arbeit einfließen lassen. Im Bruch mit etablierten Methoden des Projektmanagements sollten bewusst Lernangebote (zumindest einmal versuchsweise) agilen Prinzipien folgend entwickelt werden; insbesondere Ansätze wie die Einbindung von zukünftigen Nutzern in den Entwicklungsprozess, „rapid prototyping“ und die zügige Realisierung frei zugänglicher Beta-Versionen, die erst über Zeit optimiert werden, können entscheidende Impulse für die Weiterentwicklung der Arbeitsweise innerhalb der Lernorganisation geben.

7) Kontrolle aufgeben: Steuerung und Reporting anpassen

Die Logiken, mit denen die meisten Unternehmen ihre interne Lernorganisationen zu steuern versuchen, gehen von einem veralteten Verständnis aus, das im Sinne des „Abhakens“ anstehender Trainings Daten wie die Kursanmeldung, die Anzahl vollständig bearbeiteter digitaler Lerneinheiten oder – gleichsam als Warnsignal – die Abbruchquoten begonnener Online-Kurse in den Mittelpunkt stellt.
Eigenverantwortliches, insbesondere auch informelle Wege einbeziehendes Corporate Learning entzieht sich solchen Logiken. So sollte das Eingeständnis am Anfang stehen, dass sich das Talentmanagement der unmittelbaren Kontrolle und direkten Steuerbarkeit entzieht; der Aktivitätsgrad von Lernern, ihre Bereitschaft, selbst Inhalte beizusteuern oder in den Austausch miteinander zu treten, die Weiterempfehlung von Lernangeboten und ähnliche Größen sollten im Reporting neben die etablierten Steuerungsgrößen treten, um dem sich abzeichnenden Wandel des Lernens gerecht werden zu können.

Mit diesen sieben Aspekten zeichnen sich für alle Talentmanagement-Verantwortliche Handlungsfelder ab, die jederzeit, unabhängig von möglicherweise unzureichender Budget-Ausstattung, technischen Restriktionen oder anderen Limitationen, in den Blick genommen werden können, um entscheidende Voraussetzungen für die Zukunft des Lernens zu schaffen.

 

Autor: Dr. Thomas Tillmann ist Experte für Corporate Learning und unterstützt als Unternehmensberater Konzerne dabei, ihre Lernangebote strategischer auszurichten, effektiver und effizienter zu gestalten und insbesondere die Möglichkeiten der Digitalisierung des Lernens einzubeziehen. Nach mehreren Jahren bei McKinsey & Company hat er 2006 abc tillmann gegründet. In seiner Arbeit kombiniert er Methoden der klassischen Strategieberatung mit agilen Ansätzen.