„Die Arbeitsform der Zukunft sind selbstorganisierte und auch virtuelle Teams,“ heißt es oft als Antwort auf die schnellen und komplexen Marktveränderungen des 21. Jahrhunderts. Aber was verändert sich für den Einzelnen wirklich?
Ende des Taylorismus
Globalisierung, Digitalisierung & Automatisierung, rasante Technologie-Entwicklung, disruptive Marktteilnehmer, Generationswechsel und noch einiges mehr stellen die alten und ehemals bewährten Organisationsformen infrage. All diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass von einer neuen Arbeitswelt die Rede ist: mit mehr Selbstbestimmtheit der Arbeitnehmer. Arbeitszeiten und -orte werden flexibler und weniger einheitlich reguliert. Das ist nicht nur von der Digitalisierung getrieben, aber vor allem durch sie ermöglicht: fast überall habe ich kostenlosen Zugang zu W-LAN, jeder von uns ist mit mehreren mobilen Endgeräten vertraut.
Doch auch die Arbeitsprozesse sind aufgebrochen: „Weisung & Kontrolle“ funktionieren in vielen Kontexten nicht mehr – der globale und digitale Marktplatz verlangt schnellere Anpassungen und unkonventionellere Produkte und Lösungen; die fachliche Expertise der Mitarbeiter übersteigt den Horizont der Führungskräfte; die Generation Y fragt nach Sinn und Mitspracherechten vor dem Hintergrund ständiger Verfügbarkeit und Transparenz von Informationen und Alternativen.
Generationen X, Y und Z
Wenn Sie in Ihrem Unternehmen jetzt einen Wandel einläuten, der der Digitalisierung und der VUCA-Welt gerecht werden soll, dann treffen Sie auf verschiedene Gruppen von Mitarbeitern: Generation Y und Z sind vom Taylorismus noch wenig beeinflusst und können offen auf Neuerungen eingehen (sie fordern sie mitunter sogar ein). Mitarbeiter, die schon länger im Unternehmen sind, können den Schalter zu Eigeninitiative und Eigenverantwortung entweder noch einmal umlegen – oder sie haben sich in der alten Arbeitswelt eingerichtet. Die letztere Gruppe wird sich sehr schwer daran gewöhnen können, eigenverantwortlich aus dem Home Office oder vom Shared Desk aus selbstorganisiert ihre Beiträge zur Wertschöpfung zu leisten.
Was ist von Fachkräften jetzt anderes gefordert?
In der Vergangenheit habe ich als Fachkraft in vielen Situationen auf den Auftrag oder die Ansage des Chefs gewartet: Das war der Startschuss von Maßnahmen und Projekten. Zu mehr Eigeninitiative fehlten mir die Informationen oder ein mangelnder Anreiz: denn ohne Abstimmung mit den Entscheidern habe ich schnell für die Tonne gearbeitet. Ich habe als Fachkraft gelernt, das zu vermeiden. Nun wandelt sich das Bild: Ich kenne meine Rolle, verfüge direkt über die relevanten Informationen und agiere entsprechend, ohne dass ich auf Impulse meiner Vorgesetzten warte. Ich wäge also auch ab, welche Aktionen in dieser Situation angemessen und erfolgversprechend sind (natürlich nur, wenn das Vorgehen für den Vorgesetzten auch klar ist).
Bislang wurde mir vorgeschrieben zu welcher Uhrzeit ich mich an welchem Arbeitsplatz aufzuhalten habe. An die Kernarbeitszeit und Präsenzkultur habe ich mich natürlich angepasst. Jetzt gibt es diese Regeln so nicht mehr. Ich habe selbst die Verantwortung einzuschätzen, wann ich im Büro bin und wann ich von anderen Orten aus arbeite, wo ich mich am besten fokussieren kann. Wenn ich ins Büro komme, gibt es keinen festen Arbeitsplatz mehr – es gibt Shared Spaces, One-on-One-Räume und Kreativ-Areas. Ich teile selbst ein, was ich wann und wo und mit wem nutze. Ich bin auch dafür verantwortlich, dass meine Kollegen informiert sind, wann und wo ich arbeite und erreichbar bin.
Früher haben Fachkräfte Aufgaben in Bringschuld und Holschuld unterteilt. Fehler durften nicht passieren und wurden deshalb beschönigt oder sogar vertuscht. Und gemeckert über die Arbeit der Kollegen wurde hinter vorgehaltener Hand. Heute wird es zum Ideal, dass ich meine Informationen stets mit den richtigen teile und mir das besorge, was mir fehlt. Neue und unbekannte Arbeiten sollen möglichst früh scheitern, damit man aus den Erkenntnissen heraus bessere Produkte und Prozesse kreieren kann. Und im Daily Stand Up Meeting soll ganz offen auf Augenhöhe Feedback ausgetauscht werden.
Also müssen wir alle parallel zur Aktualisierung und Anpassung unseres Fachwissens auf digitale Prozesse, Produkte und Kommunikationswege auch im persönlichen Stil am Arbeitsplatz, in unserer Haltung eine Entwicklung schaffen, wenn jeder Einzelne und damit das Unternehmen erfolgreich sein soll. Paradigmen müssen abgelöst werden. Ein neues, ganzheitliches Verantwortungsbewusstsein ist zu entwickeln – es ist vor allem auch von den Unternehmen und Führungskräften einzufordern und noch wichtiger: es ist auch zuzulassen.
Ein modernes Bild von Führung
Agile oder virtuelle oder selbstorganisierte Teams sind anders zu führen als mit den hergebrachten Methoden. Es geht zukünftig darum, das Team zusammenzustellen, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Team benötigt, um Ziele zu erreichen – und dann das Team machen zu lassen. Das klingt nach „Service“ am Team: den Zugang zu Informationen sicherstellen, Vernetzungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens herstellen und Unterstützung in Herausforderungen, beim Klären von Störungen und beim Aushalten von unklaren und komplexen Situationen. Und vor allem: Befähigung. Der Wandel zum selbstverantwortlichen Arbeiten und Entscheiden kann durch Führungskräfte mit Beratungs- und Mentoring-Kompetenzen entscheidend vorangetrieben werden. Die Bedingungen dafür sind:
- Die Führungskraft ist sich im Klaren über die Rolle und damit einverstanden.
- Die Führungskraft verfügt über die Kompetenzen (moderieren, coachen, loslassen).
- Das Umfeld ist darauf eingestellt (Unternehmenskultur, Führungsbild des Managements)
Wie kann nun eine Führungskraft dahin kommen, wie kann sie sich von den „veralteten“ Führungsprinzipien lösen? Da entstehen Kontrollverlustängste und Katastrophenphantasien. Ich habe es immer wieder erlebt, dass Führungskräfte dann mit dem schlimmsten vorstellbaren Missbrauch und Wildwuchs rechnen, wenn die Mitarbeiter selbst Entscheidungsbefugnis erhalten. Auch hier ist Persönlichkeitsentwicklung gefordert und wir sehen wieder: neben den digitalen fachlichen Skills, ist der Mensch aufgefordert, sich menschlich und charakterlich weiter zu entwickeln.
Lesen Sie im zweiten Teil, wie passgenaue Entwicklungsprogramme Fachkräfte und Führungskräfte auf diesem Weg unterstützen können.
Autoreninfo:
Sven Vogt, Organisations-Change, Team-Change, Selbst-Change, www.sven-vogt.com
28. Juni 2017 um 15:05
Danke, ein wichtiger Beitrag in der Change-Diskussion! Es ist sicher der wesentlichste Schritt, bei den Führungskräften und ihren Ängsten und Befürchtungen vor Veränderung anzusetzen. Aber auch die Mitarbeiter selbst müssen sich erstmal an die Selbstverantwortung gewöhnen. Und die Betriebsräte, oft gibt es da auch (tarif-)vertragliche und gesetzliche Hürden, Stichwort Vertrauensarbeitszeit. Generell sehe ich das Hinführen der Belegschaft zu mehr Autonomie und Mündigkeit als sehr wertvoll – solange man es behutsam und unter Einbeziehung der Betroffenen macht. Der Bedarf an intrapersonellen Skills wird meines Erachtens bei Führungskräften und Mitarbeitern wichtiger: Vertrauen, Empathie, Self-Leadership. Und Kommunikationsfähigkeit natürlich.